Bikulturalität/Moderne und Ethisches Anliegen., Tagungen der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Berichte
Auswahl aus Tagungen, Kolloquien und Sitzungen


Bikulturalität und Moderne in indigenem Kontext/Ethisches Anliegen im Musikschaffen
Festsitzung zum Abschluss der Arbeiten des Jahres 2010

Zum Abschluss der Arbeiten des Jahres 2010 wurde im Studienzentrum der A.B.E. im Dezember 2010 eine Sitzung veranstaltet, bei der zwei Gastvorträge und ein Überblick über die durchgeführten Studien mit anschließendem Gedankenaustausch dargeboten wurden.

Die Themen beider Vorträge kamen bei allen Unterschieden Forschungsinteressen entgegen, die die Arbeiten der A.B.E. 2010 geprägt hatten. So standen bei Studien und Visiten von Institutionen in Kanada und den USA Kulturfragen heutiger indigener Gruppen, die sich bemühen, trotz Integration in die nordamerikanische Gesellschaft traditionelle Kulturwerte aufrechtzuerhalten oder wiederzubeleben, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Vor allem bei Ausstellungen des Museums Abbe von Bar Harbor wurde das vielschichtige Spannungsfeld zwischen Lebensweisen und Ausdrucksformen von Menschen indigener Herkunft, die von der Kultur der US-Gesellschaft geprägt sind und sich auch mit ihr identifizieren, und denjenigen der traditionellen Stammeskultur ersichtlich. Die Frage mehrfacher Kulturidentität, die offenbar nicht unbedingt zwiespältig zu sein braucht, stellt sich nicht nur bei Indianern Nordamerikas. Die Indianerproblematik ist in ihren Grundlagen und Hauptzügen gesamtamerikanisch, da die Nationalstaaten, die aus der europäischen Kolonialgeschichte stammten, die indigenen Völker des Kontinents in ihre Grenzen einbanden und sie in Prozesse integrierten, die durch die Ankunft der Europäer in Gang gesetzt worden waren.

Die gesamtamerikanische Perspektive bei der Betrachtung der indigenen Problematik kommt auch Bemühungen entgegen, die Aufmerksamkeit der Forschung verstärkt auf die Interaktion von interamerikanischen und transatlantischen Entwicklungen zu richten. Auch die Geschichte der Forschung selbst ist von dieser gesamtamerikanischen Betrachtungsweise geprägt: vor 300 Jahren erreichte Joseph Lafiteau S.J. Kanada, der die dort gemachten Beobachtungen mit historischen Studien der Entdeckungsgeschichte und der Antike in Beziehung setzte und als Begründer der Völkerkunde und vergleichbarer Studienfelder gilt. Dieses
Datum gab Anlass für die Studien des Jahres 2010 in Kanada und in den USA.
In diesem Rahmen wurde der Vortrag von Herrn Egfried A. Schreiber als ein bedeutender Beitrag zur Ausdifferenzierung und Vertiefung der Studien aufgenommen, der als Experte über das Leben und Werk des nordamerikanischen Komponisten Louis Wayne Ballard das Thema "Bikulturalität und Moderne" am Beispiel von dessen Kompositionen behandelte. Wie er einführend hervorhob, befand sich Ballard in einem problematischen Spannungsfeld: einerseits weckte er als Indianer Misstrauen im etablierten Mainstream der Vereinigten Staaten, als er sich dazu entschloss, Komponist zu werden; sein Volk andererseits sah mit Argwohn seine Mitwirkung bei offiziellen Instanzen. Er wirkte in beiden
Richtungen. Er sammelte, kommentierte und unterrichtete Gesänge indigener Völker und wurde zum ersten Komponisten indigener Herkunft, dessen Werke in Konzertsälen aufgeführt wurden.

Der zweite Vortrag wurde vom brasilianischen Musikwissenschaftler und Komponisten Jan Goldenbaum gehalten, der auf Einladung der A.B.E. seine kurz zuvor in São Paulo uraufgeführte und auf CD aufgenommene "Symphonie des Guten" vorstellte und seine Konzepte erläuterte.

Auf Grund ihrer Tradition spielen Fragen der Ethik bei der Arbeit der A.B.E. eine bedeutende Rolle. Wie bei einem Kolloquium des Jahres 2000 hervorgehoben worden war, sollen ethische Gesichtspunkte sowohl bei der Auswertung von Untersuchungen von Kulturerscheinungen als auch bei der Produktion des Wissens und bei Analysen von Netzwerken der wissenschaftlichen Arbeit selbst besonders berücksichtigt werden.

Wenn bei Auseinandersetzungen mit Problemen indigener Kulturen stets auch ethisch bedenkliche Entwicklungen in Geschichte und Gegenwart festgestellt und Fragen von Menschenrechten thematisiert werden, so steht in der Tradition des Denkens von Albert Schweitzer, der sich die A.B.E. verpflichtet fühlt, eine umfassendere Ethik der Achtung des Lebens - aller Kreaturen - im Mittelpunkt.

In seinem Werk setzte sich Goldenbaum dementsprechend auch mit Fragen des Respekts vor dem Leben von Tieren und des Vegetarismus auseinander. Bei seinen Auffassungen berücksichtigt er religionswissenschaftliche Aspekte, die ihn zu einer intensiven Auseinandersetzung mit indischen Denktraditionen und ökumenischen Bestrebungen führt. Er richtet dabei die Aufmerksamkeit vor allem auf eine grundlegende Einheit, die in verschiedenen Religionen und Denkströmungen aufzuspüren sei. Diese Position von Goldenbaum wird als Provokation unter verschiedenen Gesichtspunkte angesehen, auch und vor allem hinsichtlich der kulturwissenschaftlichen Debatte der letzten Jahre, die - wie bei einem Kolloquium der A.B.E. 2005 über französische Denker der Gegenwart diskutiert - die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Einheit problematisch erscheinen lässt. Hier eröffnet Goldenbaum eine notwendige Auseinandersetzung mit Kohärenz zwischen kulturtheoretischer und ethisch begründeter Orientierungen in der Kulturwissenschaft.





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