"Alte Musik" in Lateinamerika und Kulturprozessen. Tagungen der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Berichte
Auswahl aus Tagungen, Kolloquien und Sitzungen


"Alte Musik" in Lateinamerika und Studien von Kulturprozessen in internationalen Beziehungen
Abschluss der Arbeiten anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Organisation für Studien von Kulturprozessen

A.A.Bispo. Tagung A.B.E. 2008
Am 30. November 2008 wurde im Studienzentrum der A.B.E. die Abschlusssitzung der Reihe von Arbeiten, die die Gründung der Organisation für Studien von Kulturprozessen (Neue Diffusion) vor 40 Jahren in São Paulo zum Thema hatten, abgehalten. Archivdokumente waren gesichtet und die damaligen Ereignisse in ihrem Kontext untersucht worden. Auch wurden sie im Licht der internationalen Ereignisse und Entwicklungen des Jahres 1968 betrachtet. Die Gründung der Organisation war Ergebnis einer Bewegung zur Erneuerung der Kulturstudien, die während einer Tagung 1966 initiiert worden war. Ausgehend von der Diskussion über das Verhältnis zwischen empirischer und historischer Forschung entstand die Einsicht, dass die Aufmerksamkeit nicht auf Kultursphären der Kunst-, Volks- und Popularmusik gerichtet werden sollte, sondern auf Prozesse, die zwischen diesen erfolgten. Damit sollte der Weg zur interdisziplinären Zusammenarbeit und gar zu einer transdisziplinären Kulturwissenschaft geebnet werden.
Tagung der A.B.E. Alte Musik in Lateinamerika
Ein wichtiger Aspekt der damaligen Diskussion galt Fragen der Kulturdiffusion. Zu den innovativen Bestrebungen zählte auch die Pflege von "alter Musik" und Musikinstrumenten. Diese wurden durch Konzerte auswärtiger Künstler und die Bildung von Ensembles für Alte Musik gefördert, die beachtliche Aufmerksamkeit erlangten und außergewöhnliche Wege zur Gewinnung neuer Publikumskreise bestritten. Die bemerkenswerte Faszination für Alte Musik in Brasilien um 1968 erscheint als Kulturphänomen, das eingehendere Berücksichtigung verdient.

Bei der Sitzung wurde allerdings daran erinnert, dass es bereits in den 20er und 30er Jahren bedeutende Initiativen zur Aufführung von Werken der "alten Musik" in Brasilien - vornehmlich in Kreisen von Immigranten - gegeben hat, die eine Erneuerung des Konzertlebens zum Ziel hatten. Damals ging es nicht nur darum, die Programme, die fast ausschließlich aus Werken des klassischen und romantischen Repertoires bestanden, zu bereichern. Ein wichtiger Aspekt war auch das Anliegen, eine als vordergründig angesehene Musikpraxis zu überwinden. Dieses Anliegen war Teil einer Bewegung zur geisteswissenschaftlichen und künstlerischen Erneuerung, die unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg in Europa entstanden war und Beziehungen zur Bach-Bewegung aufwies.

Suzana Mendes, Tagung A.B.E. 2008
Bereits zur damaligen Zeit war in diesem Kontext die Aufmerksamkeit auf die "alte Musik" Brasiliens gelenkt worden. In späterer Jahren wurde sie in unpräziser Weise mit der Kolonialzeit des Landes in Zusammenhang gebracht. Das Wiederaufleben des Interesses für die "alte Musik" in den 60er Jahren erfolgte allerdings aus anderen Voraussetzungen heraus und sogar z.T. unabhängig von den Kreisen, die die älteren Strömungen des Denkens und der Praxis vertraten. Zugleich wurde eine Vielzahl von Problemen erkannt, die mit den Bestrebungen zur Pflege der "alten Musik" in Brasilien verbunden waren. Eines von vielen betraf die Diffusion von Werken, die z.T. aus der Zeit vor der Entdeckung des Landes selbst stammen und Fragen des Geschichtsbewusstseins aufwarfen.
Rafael Montero, Tagung A.B.E. 2008
Eine andere Frage galt der Mitberücksichtigung der durch die historische Musikforschung erhobenen Werke des 18. Jahrhunderts Brasiliens im Rahmen der "alten Musik", die bemerkenswerterweise vor-klassische Stileigenschaften offenbarten. Wichtig war vor allem eine diesem Fragenkomplex gewidmente Tagung zum Konzept des Barocks in der Musikforschung Brasiliens 1970, bei der auch die Problematik des Begriffs der "Kolonialmusik" diskutiert wurde. Es war dabei ein wichtiges Anliegen aufzuzeigen, dass die Aufmerksamkeit nicht auf eine von der politischen Geschichte bestimmte Kolonialepoche, sondern auf den Kolonialismus als Prozess gerichtet werden sollte. Dieser Problemkreis wurde bei einem Treffen im Interamerikanischen Institut für Musikwissenschaft in Montevideo 1971 in seiner lateinamerikanischen Dimensionen besprochen.

Im Rahmen interdisziplinärer Bestrebungen im Hochschulbereich, vor allem auch bei der Zusammenarbeit der damals eingeführten Ethnomusikologie mit dem Fach Musikgeschichte, wurde die Frage nach dem Verhältnis zwischen empirischer und historischer Vorgehensweise besonders hinsichtlich der Aufführungspraxis diskutiert. Die Forderung, die historische Aufführungspraxis Brasiliens nicht nur im Sinne einer Übertragung von Kenntnissen und Erkenntnissen der europäischen Forschung zu verstehen, sondern auch kontextgerechte Erkenntnisse der empirischen Kulturforschung miteinzubeziehen, prägte seitdem die Debatten. Dieser Frage wurde zuletzt eine Sitzung beim Kongress "Brasil-Europa 500 Jahre: Musik und Visionen" gewidmet.

Die Entwicklung der damals eingesetzten kulturwissenschaftlich orientierten Musikforschung im Rahmen der Arbeiten des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes e.V. bietet neuer Perspektiven, um die Debatte um die "alte Musik" kulturtheoretisch aktualisierend fortzuführen.

Die Sitzung wurde von einem Konzert der portugiesischen Cembalistin Suzana Mendes und dem argentinischen Tenor Rafael Montero musikalisch gestaltet. Montero, der am Nationalkonservatorium von Cordoba, Argentinien, sowie an der Musikhochschule von Genf, Ville Neuchatel, studierte, nahm am Internationalen Kurs "Musik in Compostela" und an verschiedenen Seminaren sowie an dem Bach-Fest von Cochabamba, Bolivien, teil. Suzana Mendes, Mitglied der A.B.E. und des I.S.M.P.S., studierte in Lissabon, Amsterdam, Oslo und Köln. Sie trat bei Konzerten in der Kölner Philharmonie, in der Alten Oper in Frankfurt a. M. und im Konzerthaus Berlin auf. Frau Suzana Mendes ist Dozentin für Cembalo am Institut für Kirchenmusik der Hochschule für Musik Robert Schumann in Düsseldorf und an der Musikschule Siegen und hält regelmäßig Fortbildungskurse an den Musikhochschulen in Porto und Lissabon.





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