Kulturdiplomatie und Geschichtsforschung. Tagungen der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Berichte
Auswahl aus Tagungen, Kolloquien und Sitzungen


Kulturdiplomatie und kulturwissenschaftlich orientierte Geschichtsforschung
1808-2008. Eröffnung der Arbeiten anlässlich der 200-Jahr-Feier der Überführung des portugiesischen Hofes nach Brasilien
Sitzung am Studienzentrum der A.B.E. (2007)

Tagung der A.B.E. Kulturdiplomatie und Geschichtsforschung
Bei der Konferenz im Museum Diplomatischer Geschichte des Außenministeriums Brasiliens im Itamaraty-Palast Rio de Janeiros 2002, die das Triennium wissenschaftlicher Arbeiten zur Entdeckung Brasiliens vor 500 Jahren abschloss, wurden Beziehungen zwischen Kulturdiplomatie und Kulturprozessen hervorgehoben. Es wurde daran erinnert, dass die Kultur in verschiedener Hinsicht eine bedeutende Rolle bei Darstellungen und Repräsentationen von Ländern im Ausland, bei den internationalen Beziehungen und bei der Völkerverständigung spielt. Namen und Werke, die von diplomatischen Instanzen dafür ausgewählt und gefördert werden, beeinflussen Tendenzen der Kunst und Kultur des eigenen Landes (siehe Bericht).
A.A.Bispo. Tagung der A.B.E. 2007
Die internationale Durchsetzung von bestimmten Literatur- und Kunstwerken, Künstlern und Stilen, vor allem solcher, die national konnotiert sind oder ein politisch gewünschten Bild des jeweiligen Landes vermitteln, lässt oft kulturdiplomatisches Wirken erkennen. Die dabei in Gang gesetzten Kulturprozesse stellen Gegenstand von Kulturstudien dar, die, um adäquat vorzugehen, deren Voraussetzungen und Beweggründe untersuchen müssen.

Es ist dementsprechend Zielsetzung der A.B.E., Studien von Kulturprozessen in engem Zusammenhang mit Studien der Produktion und Propagierung des Wissens und der Netzwerke der daran Beteiligten zu verbinden, was die Berücksichtigung der Rolle miteinbezieht, die daran Diplomaten sowie Gelehrte und Künstler, die kulturdiplomatisch wirkten, spielten.

Cornelia Napp. Tagung der A.B.E. 2007
Das Jahr 2008 bot herausragende Gelegenheit zur eingehenden Auseinanderssetzungen mit diesem Problemkreis im Kontext Europa/Brasilien. Es wurde von Kommemorationen geprägt, in denen der Überführung des portugiesischen Hofes nach Brasilien vor 200 Jahren gedacht wurde. Sie riefen ins Bewusstseins, dass die Verlegung des Lissaboner Hofes nach Rio de Janeiro ein außerordentlich wichtiges Datum in der Geschichte des Landes darstellte und zugleich ein bemerkenswertes und bedeutsames Ereignis in der Geschichte globaler Beziehungen. Sie führte zur Öffnung brasilianischer Häfen, zur Gründung wichtiger Institutionen, zum Ausbau politischer Organe und der Verwaltung, zur Schaffung eines Vereinigten Königreiches "Portugal-Algarve-Brasilien" und ermöglichte letztlich die Entwicklungen, die in der Unabhängigkeit des Landes und in der Instituierung des Kaiserreiches mündeten. Künstlern und Musikern, die in Brasilien zu dieser Zeit wirkten, derjenigen Europäer, die sich zum Hof in Rio de Janeiro begaben, sowie der damals errichteten, für Kulturstudien relevanten Institutionen wurden im Kommemorationsjahr gedacht.
Tagung der A.B.E. 2007
Durch einen Studienzyklus, der in Brasilien und in Deutschland durchgeführt wurde, wollte die A.B.E. die Aufmerksamkeit auf die Kulturprozesse in internationalen Beziehungen richten, die der Überführung des Hofes vorausgingen, sie begleiteten und aus ihr folgten. Die Einbeziehung Portugals in europäische Entwicklungen, die nicht nur politisch waren, sondern auch kulturpolitische Dimensionen besaßen, wurde berücksichtigt.

Den kulturellen Auswirkungen in Portugal, die durch den Abzug des Hofes dort verursacht wurden, wurde in Studien unter Leitung von Dr. Manuel Ivo Cruz nachgespürt. Wie dieser portugiesische Gelehrte hervorhob, könnte schon ein empathischer Versuch des Sich-Hineinversetzens in die psychologische Situationen derjenigen Portugiesen höhergestellter Kreise, die Lissabon verließen, sich in eine ferne Kolonie flüchteten und in Rio de Janeiro multiethnische Zustände antrafen, ins Bewusstsein bringen, welche Bedeutung das Ereignis aus der Sicht Portugals hatte. Es wird wenig beachtet, dass auch die ankommenden Portugiesen sich in einem Prozess des Kulturwandels befanden, der, von Instabilitäten und Ungewissenheiten geprägt, auch das Drängen nach Wahrung der Autorität und des Standes, nach Selbstbehauptung, nach Affirmation und Selbstdarstellung und zugleich die Notwendigkeit der Akzeptanz und der Adaptation kannte. Ein komplexes Spannungsfeld von Interaktionen von Kulturprozessen verschiedener Provenienzen muss hier in den Blick der Forschung treten.

Nur eine kulturwissenschaftlich orientierte Geschichtsbetrachung, die sich vornehmlich Fragen von Identitätsprozessen und dem damit zusammenhängenden Bedürfnis nach Unterscheidung aus verschiedenen Perspektiven der mitbeteiligten Bevölkerungsgruppen annimmt, kann der Bedeutung dieses Ereignisses gerecht werden. Sie kann sogar neue Wege ebnen, um die Entwicklung, die zur Emanzipation und zum Kaiserreich führte, als Ergebnis und Ausdrucksform von Kulturprozessen zu untersuchen. Für eine kulturwissenschaftlich orientierte Geschichtsbetrachtung bietet die Kunst- und Musikgeschichte dieser Zeit wichtige Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit kulturellen Ausdrucksformen, die als Chiffren zur Untersuchung von Kulturprozessen dienen können.

Tagung der A.B.E. 2007
Bei diesem Ansatz wird die Bedeutung der Kulturdiplomatie in Rio de Janeiro seit der Ankunft des Hofes in ihren engen Beziehungen zu politischen Entwicklungen Europas ersichtlich. Die Bedeutung der "Französische Kunstmission" für die Kunstgeschichte Brasiliens wurde zwar bereits vielfach hervorgehoben. Die Notwendigkeit ihrer Untersuchung in Zusammenhang mit der Kulturdiplomatie Frankreichs zur Zeit des Endes der napoleonischen Ära und der Restauration in Europa wurde bei einer Tagung in Deutschland 1984 thematisiert, die die Vorbereitungsarbeiten zur Gründung des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes (I.S.M.P.S.) begleitete.

Im Mittelpunkt der Betrachtungen stand aber die Gestalt des österreichischen Musikers Sigismund von Neukomm, die in vertraulicher Stellung bei Talleyrand zum Komponisten des Wiener Kongresses und somit der Restauration schlechthin wurde. Als Musiklehrer von Mitgliedern der Aristokratie in Rio de Janeiro, als derjenige, der zuerst den brasilianischen Komponisten Pe. José Maurício in Europa mit lobenden Worten würdigte, als Komponist von Werken, die brasilianische Konnotationen aufweisen und als Vertreter der klassischen Tradition in Brasilien wurde Neukomm in mehreren Veranstaltungen der A.B.E. berücksichtigt. Er erscheint als die Gestalt schlechthin eines kulturdiplomatisch agierenden Künstlers und Gelehrten.

Im Jahr 2002 wurden die europäischen Dimensionen der Persönlichkeit von Sigismund Neukomm in einem Seminar an der Universität Bonn behandelt. Frau Cornelia Napp führt als Teilnehmerin dieses Seminars seitdem Untersuchungen zum Schaffen des Komponisten durch. Im Anschluss an ihren Vortrag während der Sitzung wurde die Bedeutung Neukomms in einer Geschichte der Kulturdiplomatie hervorgehoben, die nur dann in ihrem wahren Ausmaß zu erfassen ist, wenn sie mit kulturwissenschaftlicher Orientierung betrieben wird. Mit dieser Sitzung wurde auch die Initiative der deutschen Schule Rio de Janeiros gewürdigt, zum Auftakt des Kommemorationsjahres 2008 das Mozart-Requiem mit Ergänzung von Sigismund von Neukomm aufzuführen.

Die Sitzung wurde von kammermusikalischen Darbietungen der Bläsergruppe "Im kühlen Grund" aus Bad Honnef umrahmt.





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