Immigration und Ästhetik. Tagungen der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Berichte
Auswahl aus Tagungen, Kolloquien und Sitzungen


Immigration und Ästhetik - Kulturwissenschaftliche Fragen im deutsch-brasilianischen Kontext
Kolloquium im Studienzentrum der A.B.E., Gummersbach, 2006

Tagung der A.B.E. Immigration und Ästhetik
Im Jahr 2006 veranstaltete die A.B.E. ein Kolloquium zum Thema "Immigration und Ästhetik" unter besonderer Berücksichtigung deutsch-brasilianischer Fragen. Die Veranstaltung sollte im Anschluss eines Seminars zum Thema "Immigration und Ästhetik" der Universität zu Köln die in ihm diskutierten Themen speziell am Beispiel deutsch-brasilianischer Beziehungen betrachten.

Fragen der Ästhetik wurden in São Paulo zur Zeit der Gründung der Organisation für Studien von Kulturprozessen in Zusammenhang mit der Kommunikationstheorie behandelt. Bei der Reform des Hochschulsystems und der Lehrerausbildung in Musik und Kunstfächer zu Beginn der 70er Jahre wurde sie in enger Zusammenarbeit mit den Fächern Ethnomusikologie und systematische Musikstudien betrieben. Diese Vorgehensweise entsprach dem Anliegen, die Aufmerksamkeit auf Prozesshaftes zu richten und eine transdisziplinäre Kulturwissenschaft zu entwickeln. Die Kulturstudien - besonders die der Volkskunde - waren bis dahin nationalistischen Anschauungen verpflichtet und prägten die ästhetischen Auffassungen, insbesondere im Musikschaffen. Die Erneuerungsbestrebungen führten zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit Fragen der Immigration. So wurden Forschungen in Bevölkerungsteilen São Paulos aus unterschiedlicher Herkunft durchgeführt.

Diese Bemühungen wurden im Verlaufe der folgenden Jahrzehnte fortgesetzt. Mit besonderer Intensität wurden sie beim Internationalen Kongress Euro-Brasilianischer Studien 2002 behandelt, der das Triennium wissenschaftlicher Arbeiten anlässlich der Entdeckung Brasiliens vor 500 Jahren abschloss. Beim Forum Rio Grande do Sul, das in Regionen deutscher Kolonisation realisiert wurde, wurden Fragen der Immigration unter kulturwissenschaftlichen Perspektiven diskutiert. Identitäts- und Differenzierungsprozesse von deutschsprachigen Einwanderern und deren Nachkommen in Geschichte und Gegenwart wurden besprochen. Projekte der angewandten Forschung im musikerzieherischen Bereich, die Erkenntnisse aus der Analyse performativer Mechanismen in die Schulpraxis umsetzten, wurden vorgestellt.

Beim Seminar zu "Immigration und Ästhetik" an der Universität Köln konnte auf die Ergebnisse dieses Kongresses in Rio Grande do Sul als Ansätze zur Behandlung von Fragen der Ästhetik bei Identitäts- und Ausdifferenzierungsprozessen von Einwanderern und Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland zurückgegriffen werden. Die Überlegungen wurden unter Einbeziehung von Vertretern der untersuchten Gruppen entwickelt. Auch hinsichtlich der in Deutschland lebenden Brasilianer und ihrer Nachkommen wurden Probleme ästhetischer Natur behandelt, die im Rahmen integrativer Prozesse zu untersuchen sind. Wie bei anderen Gruppen auch ist hier vielfach eine Beziehung zwischen der Instabilität des Lebens im Ausland und einem erhöhten Bedürfnis nach Affirmation und Differenzierung feststellbar, was sich ästhetisch auswirkt. So kann eine Ausrichtigung der Aufmerksamkeit auf die Mechanismen des Integrationsprozesses dazu beitragen, die Bedeutung von Kulturpraktiken in der Immigration zu erklären, die als "brasilianisch" konnotiert sind. Einwanderer, die in Brasilien nie vorher Samba getanzt, Karneval gefeiert oder bestimmte Kultpraktiken ausgeübt hatten, tun dies nun im Ausland. Dadurch kann es aber zu einer Rückkopplung kommen; die besondere Beachtung bestimmter Kulturerscheinungen im Ausland kann zu einer Verstärkung von Ausdrucksformen und ästhetischen Tendenzen in Brasilien führen. Hier können sich Probleme einstellen, die nur durch die bewusstseinsfördernde Reflexion der Mechanismen des Integrationsprozesses zu vermeiden sind.

Prof. Isolda Bassi-Bruch
Am Kolloquium nahm Frau Prof. Isolda Bassi-Bruch aus São Paulo als Gast teil, die über ihre Erfahrungen als Kind von Einwanderern verschiedener Herkunft berichtete. Sie kannte die Probleme der Integration im Spannungsfeld zwischen Anpassung, Selbstbehauptung und Differenzierungsbestreben sowohl von italianischer als auch von deutscher Seite. Vielfach kam dieses affirmative Streben im Drang nach Beweis von Fähigkeiten zum Ausdruck, der sich musikalisch vor allem durch die technische Beherrschung von Instrumenten oder Tonsatz äußerte. Frau Bassi-Bruch war Zeuge von Entwicklungen, bei denen Künstler, Gelehrte und deren Nachkommen in ihrem Bemühen um Integration "nationaler als die Nationalen" geworden sind und sich Analysen von brasilianischen Kulturscheinungen widmeten, um typische Elemente zu erkennen und in ihren Werken zu verarbeiten. Damit trugen sie zur Entwicklung einer nationalistischen Ästhetik bei. Sie verwies aber auch auf das Unverständnis bestimmter brasilianischer Intellektueller gegenüber der Situation der Einwanderer, die sich ungerechten Angriffen ausgesetzt sahen.

Ein anderer Aspekt, der in ihrem Vortrag hervorgehoben wurde, betraf die brasilianischen Studenten aus Familien von Einwanderern, die, wie sie selbst, in Europa in den 30er Jahren studiert hatten. Bei diesen potenzierten sich die Probleme, die aus der Instabilität der Einwanderersituation resultierten und sich in der nachvollziehbaren Tendenz zum Behauptungswillen, zu Anpassungen, aber auch zu Übertreibungen in verschiedener Hinsicht führten. Es ließe sich vielleicht aus dem Mechanismus der Integrationsprozesse erklären, dass - anders als sie - so viele ihrer Kollegen in Österreich und in Berlin sich dem Nationalsozialismus annäherten und bei Beginn des Krieges wegen ihrer Sprachskompetenzen bei deutschen Sendern wirkten.





Sitemap


Die Akademie

Zielsetzung und Geschichte   -   Organisation   -   Studienzentrum   -   Archive

Aktivitäten

Forschungsprogramme   -    Themen   -   Berichte   -   Chroniken

Online-Zeitschrift

Revista Brasil-Europa

Institutionelle Bindungen

Brasil-Europa   -   I.S.M.P.S. e.V.

Allgemeines

Kontakt   -   Impressum