Europäische Dimensionen portugiesischer Musikkultur. Tagungen der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft
Europäische Dimensionen portugiesischer Musikkultur. Tagungen der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft
Akademie Brasil-Europa
für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft
Organisation für Studien von Kulturprozessen
in internationalen Beziehungen
Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes - ISMPS e.V.
Vorsitzender:
Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo
Berichte
Auswahl aus Tagungen, Kolloquien und Sitzungen
Europäische Dimension portugiesischer Musikkultur
Kolloquium: Köln 2002
Das Kolloquium wurde aus Anlass der Ernennung von Porto zur Kulturhauptstadt Europas durchgeführt. Porto wurde von Dr. Ivo Cruz vertreten, der zu den herausragenden Persönlichkeiten des Musiklebens und der Musikforschung der Stadt zählte.
Das Kolloquium fügte sich in die Reihe von Tagungen ein, die im Rahmen des Trienniums wissenschaftlicher Arbeiten zur Entdeckung Brasiliens vor 500 Jahren veranstaltet wurden, welches mit dem Kongress "Brasil-Europa 500 Jahre: Musik und Visionen" 1999 eingeleitet wurde.
Da Brasilien von Portugal entdeckt, besiedelt und missioniert wurde, bis 1822 mit ihm als Kolonie und im Vereinigten Königreich eng verbunden war, später eine bedeutende portugiesische Einwanderung erfuhr und zu den Ländern der portugiesischen Sprache zählt, kommt seinen Beziehungen zu Portugal in der Kulturgeschichte eine vorrangige Stellung zu.
Die Übertragung von Kulturerscheinungen und Praktiken des Musiklebens von Portugal nach Brasilien kann nur durch eine Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesshaftes verstanden werden, da sie im Rahmen der Kolonisations- und Missionierungsprozesse erfolgte.
Die Musikkultur Portugals kann allerdings nur im Spannungsfeld der europäischen Musikgeschichte betrachtet werden. Das Land erhielt bedeutende Einflüsse von europäischen Musikzentren. Portugiesische Komponisten erlangten internationalen Ruf und spielten zuweilen in diesen Zentren eine bedeutende Rolle. Die besondere Geographie dieser Beziehungen, die Eigenarten der Netzwerke, die Strömungen, in die sich Portugal einfügte, und die politischen und ökonomischen Voraussetzungen dieser Rezeptions- und Wirkungsgeschichte sollten während des Kolloquiums besprochen werden.
Als Einführung des Kolloquiums wurde auf die Besonderheit der Tagung hingewiesen, da sie von der portugiesischen Immigration nach Brasilien der nach-kolonialen Zeit ausging. Diese Perspektive entspricht der kulturwissenschaftlichen Orientierung des I.S.M.P.S. und der A.B.E., die eine besondere Aufmerksamkeit auf Prozesse der Immigration und der Identität bzw. des Identitätswandels richtet.
Die portugiesischen Gemeinden in Brasilien, die aus der Einwanderung seit dem 19. Jahrhundert entstanden sind, unterscheiden sich kulturell in vieler Hinsicht von der brasilianischen Gesellschaft ferner portugiesischer Herkunft, die aus Prozessen hervorging, die vor Jahrhunderten in Gang gesetzt wurden. Sie haben ihre eigenen Kulturzentren, pflegen Musik- und Volkstanztraditionen und Trachten, die sich in bemerkenswerter Weise von denen des alten Repertoires traditioneller Ausdrucksformen Brasiliens unterscheiden, die auf ältere Phasen des Kulturlebens Portugals zurückgehen.
Diese besondere Situation, die dazu führt, dass in brasilianischen Volkstraditionen kulturelle Ausdrucksweisen weiterleben, die trotz aller Veränderungen und Anpassungen "älter" sind als die von Portugal und bedeutende Ansätze zur Untersuchung der Musikkultur vergangener Jahrhunderte Portugals bieten, wurde bereits in einem internationalen Kolloquium 1989 gewürdig, das unter Teilnahme von Vertretern der Volkskunde beider Länder in Deutschland stattfand.
Bei dem Kolloquium des Jahres 2002 sollte ein anderer Problemkreis im Vordergrund der Aufmerksamkeit stehen. Es gab unter den Einwanderern auch Menschen mit hoher Bildung und weiterreichenden Interessen, die bestimmte Tendenzen der Politik und des Kulturlebens Portugals vertraten. Unter den Umständen der Immigration, die mit Instabilität und komplexen Bestrebungen zur Integration und zugleich zur Ausdifferenzierung verbunden war, erfuhren diese Tendenzen eigene Charakteristiken und veränderten oder verstärkten sich.
Das Geschichtsbewusstsein der Einwanderer und die Perspektive, unter der sie und ihre Nachkommen die Entwicklungen Portugals im 20. Jahrhundert aus der Ferne betrachteten, müssen bei den kulturwissenschaftlichen Studien berücksichtigt werden. Sie verweisen z.T. auf Strömungen des Denkens, auf Erwartungen und Sichtweisen, die auf die Zeit vor der Ausrufung der portugiesischen Republik, d.h. vor den Ersten Weltkrieg, zurückgehen.
Zum Anlass des Kolloquiums fand die Ausstellung "Portugal-Europa vor 100 Jahren: weinendes Lachen, lachendes Weinen" in den Räumen des Studienzentrums der A.B.E. statt.
Beim Thema der europäischen Dimensionen portugiesischer Musikkultur steht in musikhistorischer Hinsicht die "Goldene Zeit" portugiesischer Polyphonie des XVI. und XVII. Jahrhunderts an erster Stelle. Als Experte für dieses Forschungsfeld hob Dr. Armindo Borges (Azoren) die wichtigsten Wechselbeziehungen zwischen portugiesischen und anderen europäischen Zentren der Zeit und vor allem die Entwicklungen im kirchlichen Kontext hervor, die diese Blüte der Mehrstimmigkeit erklärten. Anschließend behandelte Frau Suzana Mendes die europäische Dimension der Musik für Tasteninstrumente portugiesischer Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts am Beispiel von Werken von Carlos Seixas, Souza Carvalho, Xavier Baptista u.a.
Aspekte der portugiesischer Musikkultur des 20. Jahrhunderts nach Unterlagen von Domingos Capela wurden von Fernando Calazans M.A. erläutert, der sich seit seinem Studium an der Universität Coimbra diesen bisher ungenügend beachteten Quellen widmet, die Bedeutung sowohl für die historische als auch für die empirische Musikforschung besitzen.
Die europäische Dimension des Fandango war Thema von Nazir Bittar, der in Campinas seine Universitätsausbildung erhielt.
Mehrere Teilnehmer des Kolloquiums hatten vorher ein vorbereitendes Seminar besucht, das von A.A. Bispo am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln zum Thema "Musik Portugals" im Sinne einer von ihm vertretenen kulturwissenschaftlich orientierten Musikforschung abgehalten wurde. So behandelte Karin Hess das Vorkommen von Tierdarstellungen in Fastnachtsspielen in portugiesischer Kulturpraktiken vor dem Hintergrund der Bildersprache von traditionellen Ausdrucksformen in anderen Ländern Europa. Ebenfalls aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive stellte Nils Szczepanski Überlegungen zu übernationalen Bezügen des portugiesischen Villancico an.
Ein bedeutender Aspekt, der während des Kolloquiums behandelt wurde, betraf die Motette und ihre Pflege in von den Portugiesen geprägten außereuropäischen Gebieten. Untersuchungen über die Motette in Prozessionen Brasiliens als Ausdruck eines "stilo antico" in der sonst von der instrumentalbegleiteten Musik bestimmten Kirchenmusikpflege waren bereits zu Beginn der siebziger Jahre durchgeführt worden.
Diese Traditionen wurden empirisch und historisch untersucht und bei verschiedenen Gelegenheiten in Europa und in Brasilien diskutiert. Bei dem euro-brasilianischen Kolloquium 1989 wurde eine Publikation vorgestellt, die eine Motette aus Goa enthält und zum ersten Mal diese luso-indische Tradition der Fachwelt in Europa vorstellte. Die Diskussion konnte im Rahmen des Kolloquiums durch den Vortrag von Herrn Prof. Manuel Morais von der Universität Évora über die Motettentradition von Goa fortgeführt werden.
Hinsichtlich der Beziehungen der Musikkultur Portugals des 20. Jahrhunderts zu kulturpolitischen Strömungen, die gesamteuropäische Dimensionen, insbesonders aber luso-deutsche Bezüge offenbarten, wurde das Problemfeld "Autoritäre Systeme und nationale Musik" am Beispiel des portugiesischen "Estado Novo" von Elena Schwenzel behandelt. In diesem Rahmen wurde die Suite portuguesa von Ruy Coelho von Nicole Spelz vorgeführt und anschließend von den Teilnehmern besprochen.
Zeitgenössische Entwicklungen portugiesischer Musik in ihrer internationalen Bedeutung und Ausstrahlung wurden unter dem Thema "Portugal im europäischen Raum - Raum in der Musik der Gegenwart" am Beispiel des Lebens und Werkes von Emmanuel Nunes durch Christoph Barth dargelegt.
Die interdisziplinäre Forschung wurde hinsichtlich der Musik im portugiesischen Film von Dr. Alcides Murtinheira vom Instituto Camões und dem Portugiesisch-Brasilianischen Institut der Universität zu Köln in einem eingehenden Vortrag erläutert.
Im Rahmen des Kolloquiums wurde ein musikerzieherisches Projekt von Frau Prof. Dr. Helena de Souza Nunes vorgestellt, das sie in Rio Grande do Sul entwickelt hat und das Erfahrungen und Forschungsansätze verarbeitet, die die Interaktion zwischen luso-brasilianischen und teuto-brasilianischen Kultursphären betreffen.
Die Arbeitstage des Kolloquiums wurden mit einem Konzert der Saxophonisten Maria Bragança und des Pianisten Michael Collins mit portugiesischer und brasilianischer Musik abgeschlossen. Am Sonntag, den 3. Februar, wurde ein feierliches Hochamt zum Abschluss in der Kirche Groß St. Martin der portugiesischen Gemeinde Köln gefeiert, das mit Orgelwerken u.a. von Pedro Araújo und António Carrera unter Leitung von Suzana Mendes musikalisch gestaltet wurde.
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