Indios: Von der Musikethnologie zu einer transdisziplinären Musikkulturforschung. Tagungen der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Berichte
Auswahl aus Tagungen, Kolloquien und Sitzungen


Von der Musikethnologie zu einer transdisziplinären Musikkulturforschung
Sitzung im Museu do Índio, Rio de Janeiro (2002)

Tagung der A.B.E. im Indio-Museum der FUNAI RJ
Im Rahmen des Kongresses Euro-Brasilianischer Studien, der im Jahr 2002 das Triennium wissenschaftlicher Arbeiten zum Anlass der Entdeckung Brasiliens vor 500 Jahren abschloss, wurde eine Konferenz im Museu do Índio in Rio de Janeiro abgehalten. Seit Jahrzehnten kooperiert das Museum mit der A.B.E. und ihren angeschlossenen Instituten.
Diese engen Beziehungen gingen auf den Anfang der siebziger Jahre zurück, als Frau Prof. Helza Cameu, damals die bedeutendste Expertin für Fragen der Musik der Indianer Brasiliens, an den Überlegungen mitwirkte, die die Einführung des Faches Ethnomusikologie in Brasilien vorbereitet und begleitet haben. Sie nahm aktiv teil an der 1968 gegründeten Organisation für Studien von Kulturprozessen, die die Entwicklung einer
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transdisziplinären Kulturwissenschaft zum Ziel hatte.

1992 wurde die Zusammenarbeit der A.B.E. mit dem Museum im Rahmen des Kongresses zum Anlass der Entdeckung Amerikas vor 500 Jahren vertieft, der als Thema "Grundlagen der Musikkultur Brasiliens" hatte. Nach intensivem Gedankenaustausch widmeten sich seitdem die Mitarbeiter des Museums Fragen der Organologie und der Sinndeutung bzw. Symbolik indigener Musikinstrumente und bereiteten Studien zu diesem Thema gemäß der kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der A.B.E. vor.

Das Museum ermöglichte die fotografische Dokumentation ihrer Instrumentensammlung durch die A.B.E., die zur Grundlage eines multimedialen Projekts wurde, das zur Eröffnung des Kongresses "Brasil-Europa 500 Jahre: Musik und Visionen" in Köln vorgestellt wurde. Auf der Grundlage des fotografierten Materials wurde das Projekt bewegter Bilder entwickelt, das nach dem Makuxi-Begriff für "ich singe" benannt ist und in dem sich die Instrumente selbständig um sich selbst drehen und sich ineinander verwandeln. In diesen Metamorphosen erscheinen sie als Sänger und nicht nur als Vehikel, sodass gleichsam die singende Natur selbst repräsentiert wird. Wenn die Erforschung der Religionsformen aus dem Komplex der Aayuhaska, des Santo Dai-Me und der União do Vegetal in Pionierweise in den siebziger Jahre von Mitgliedern der A.B.E. durchgeführt wurde, so wurde hier zum ersten Mal die Frage des Verhältnisses zwischen Musik und Visionen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt.

Nach einem Besuch der Ausstellungen folgte die Begrüßung der Teilnehmer durch die Museumsleitung, die die Arbeit der Institution und die Tendenzen der Museologie indigener Kulturen erläuterte.

Tagung der A.B.E. im Indio-Museum der FUNAI, RJ
Der Direktor des Museums hob hervor, dass die Aktivitäten des Museums nicht nur wissenschaftlich, sondern auch pädagogisch und pragmatisch ausgerichtet sind. Verschiedene Kurse sowie Informationsveranstaltungen für Schulen und sonstige Interessentengruppen werden angeboten. Die Zusammenarbeit mit indigenen Gruppen wird mit Nachdruck betrieben. Nicht nur Forschungsprojekte, sondern auch der Besuch des Museums durch Indianer werden gefördert. Dadurch versucht man, das Kulturbewusstsein indigener Gruppen zu unterstützen und somit zu einem reflektierten Umgang mit dem eigenen Kulturerbe und mit den aus dem Kontakt mit der herrschenden Gesellschaft entstandenen Entwicklungen beizutragen. Anschließend wurden bei einem Besuch der Magazine des Museums die Archivierungsarbeiten und die dabei angewandten Restaurierungs- und Konservierungstechniken erläutert.

In darauffolgenden Gesprächen wurde die Entwicklung der Bemühungen um die Musikkulturen der Indianer Brasiliens thematisiert und der gegenwärtige Zustand des Faches Musikethnologie in Deutschland kritisch besprochen.

Als der erste Hochschulkurs im Fach Ethnomusikologie im Jahr 1972 an der Fakultät des Musikinstituts von São Paulo auf Erlass des Kultusministeriums eingerichtet wurde, wurde die Notwendigkeit einer umfassenden Erhebung des Standes des Wissens über die Musikkulturen Brasiliens spürbar. Die Vorarbeiten und begleitenden Studien wurden in Zusammenarbeit mit einer Kommission von Experten aus mehreren Regionen Brasiliens und aus dem Ausland in Angriff genommen, unter ihnen Martin Braunwieser, Desiderio Aytai und die erwähnte Helza Cameu.

Tagung der A.B.E. im Indio-Museum RJ
Es wurden Gruppen aufgesucht, die in Regionen lebten, die damals von im Bau befindlichen Straßen erschlossen wurden, so z.B. die Comacãs und Maxakalis in Espírito Santo und im Süden von Bahia. Es wurden auch Kontakte zu Indianergruppen von Mato Grosso, Rondonia und Goiás durch Studenten und Mitarbeiter aufgenommen. In diesem Zusammenhang wurde an den Architekten J .de Andrade und an Nicole Jeandot dankbar gedacht.

Daten über die indigene Musik fanden sich in Briefen von Missionaren aus verschiedenen Jahrhunderten, in Reiseberichten unterschiedlichster Provenienzen, in literarischen Werken ohne wissenschaftlichen Anspruch, in allgemeinen ethnologischen und anthropologischen Arbeiten, in Zeitungen, Zeitschriften, Dokumentarfilmen und anderen Quellen diverser Herkunft. So begann damals eine systematische Erhebung von historischen Quellen aus allen Epochen, die von Reflexionen über die jeweiligen Kontexte und Interpretationsmuster begleitet wurden.

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Zwischen 1974 und 1979 wurden in verschiedenen Ländern Europas Museen aufgesucht, die indigenes Material aufbewahren. Auch fanden wissenschaftliche Begegnungen mit Ethnologen und Musikethnologen statt, um Fragen der Methode bei der Analyse indigener Musik zu diskutieren. Bei der Gründung der Brasilianischen Gesellschaft für Musikwissenschaft 1981 wurden alle Anstrengungen unternommen, Studierende und Forscher der Indianer-Kulturen in das Netz der Musikwissenschaftler einzubeziehen, die sich auf nationaler und internationaler Ebene mit Brasilien befassten.

Beim I. Brasilianischen Kongress für Musikwissenschaft, der im Villa-Lobos-Jahr 1987 gleichzeitig mit dem Regionaltreffen des Projekts "Musik im Leben des Menschen" des Internationalen Musikrates/UNESCO veranstaltet wurde, wurde zum ersten Mal eine musikethnologische Sitzung der Indianer-Thematik in Brasilien gewidmet. Ziel des Kongresses war es, den Stand und die Tendenzen der Musikforschung sowie der allgemeinen, für Musikstudien relevanten Kulturforschung zu eruieren. Zu diesem Anlass wurde eine großangelegte Ausstellung von indianischen Musikinstrumenten durch das Museum der Universität São Paulo mit Unterstützung deutscher Instanzen organisiert. Diese Ausstellung wurde von der Publikation einer einführenden Fachbibliographie begleitet.





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