Forum Rio Grande do Sul. Tagungen der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Berichte
Auswahl aus Tagungen, Kolloquien und Sitzungen


Forum Rio Grande do Sul -
Musik, Projekte und Perspektiven in Regionen deutscher Kolonisation in Südbrasilien


Beim Forum Rio Grande do Sul 2002 sollten die in den Gebieten deutscher Kolonisation Südbrasiliens laufenden Projekte und Studien sowie Perspektiven für die kulturwissenschaftliche Arbeit im Kontext Deutschland/Brasilien für das 21. Jahrhundert diskutiert werden.

Die Tagung sollte die Arbeiten zur Erneuerung der Kulturstudien der Immigration unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien fortsetzen, die seit ihrer Gründung im Jahre 1968 von der Organisation für Studien von Kulturprozessen/A.B.E. durchgeführt werden.

1972 wurde eine Kontak- und Forschungsreise der Organisation in Zusammenarbeit mit der Brasilianischen Gesellschaft für Volkskunde in die Regionen deutscher Besiedlung organisiert. Im Verlaufe der folgenden Jahre wurden weitere Studienreisen und Projekte durchgeführt. Beim Kongress "Brasil-Europa 500 Jahre: Musik und Visionen" wurde in Köln eine Ausstellung zum Thema "Kultur deutscher Immigranten in Brasilien" sowie ein Konzert mit Werken deutsch-brasilianischer Komponisten realisiert.

Im Jahr 2000 wurden vorbereitende Reisen zu mehreren Städten der Staaten Paraná und Santa Catarina unternommen. Im Jahr 2001 wurden Kolloquien über die Geschichte deutsch-brasilianischer Kulturbeziehungen und über die Geschichte der Erforschung Portugals und Brasiliens in Deutschland abgehalten.

Für die Durchführung des Forums wurde die A.B.E. von der Regierung des Bundesstaates Rio Grande do Sul durch ein Schreiben der Ersten Dame des Staates, Frau Judith Dutra, eingeladen und willkommen geheißen. Im März des Jahres 2002 kam die Vorsitzende der Gesellschaft ACDG,  Frau Prof. Dr. Helena Wöhl Coelho, zu einem Vorbereitungstreffen in das Studienzentrum der A.B.E. in São Paulo. Auf der Grundlage des erarbeiteten Programms wurden anschließend Vorbereitungen an Ort und Stelle getroffen.

Für die Organisation der Arbeit stellte sich dankenswerterweise u.a. die Abteilung für Organisation von Projekten der ULBRA zur Verfügung. 

Das Forum wurde mit einem Festakt im Auditorium des Kulturhauses von Gramado eröffnet. Nach den Begrüßungen durch die Bürgermeister und Kulturamtsleiter der beteiligten Städte Gramado, Nova Petrópolis, Dois Irmãos und São Leopoldo hob der Rektor der Theologischen Hochschule der Evangelischen Universität lutherischen Bekenntnisses Brasiliens die Bedeutung der Musik für die Universitätsarbeit hervor. Die Stadt Nova Petrópolis wurde auch durch Vertreter lokaler Kreise deutscher Traditionspflege repräsentiert, die die Relevanz der Musik für die Kulturidentität der Deutsch-Brasilianer betonten und den Wunsch aller Traditionsgruppen übermittelten, die Tagung möge eine neue Phase der internationalen Zusammenarbeit initiieren.

Die Kulturgesellschaft Gramado, vertreten durch den Leiter des Jungendhauses der Stadt, hob die Bedetung des Verbandes deutsch-brasilianischer Zentren sowie die Arbeit von Theo Klein hervor, der über Jahrzehnte die deutsch-brasilianischen Beziehungen an Ort und Stelle aufbaute.

In einem verlesenen Grußwort hob der Direktor des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Bonn die Bedeutung und die Perspektiven einer kulturwissenschaftlich orientierten musikwissenschaftlichen Forschung hervor, wie sie von der A.B.E. und dem Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes I.S.M.P.S. e.V. betrieben wird.

Der Vertreter der Brasilianischen Bischofskonferenz betonte und unterstützte die aus dem Programm des Forums ersichtliche ökumenische Orientierung. Es folgten Vorträge des Vorsitzenden der A.B.E. und der Vorsitzenden der ACDG. Die Sitzung wurde von instrumentalbegleiteter Chormusik musikalisch mit Kompositionen umrahmt, die im Rahmen des musikpädagogischen Projekts der ACDG entstanden sind.

Forum RS der A.B.E. Adré Lichter
Für den ersten Arbeitstag waren zwei Sitzungen im Konferenzsaal des Kulturzentrums von Gramado vorgesehen. Die erste Sitzung wurde von Herrn André Lichter geleitet, die deutschen Übersetzungen oblagen Frau Bettina Lichter. An erster Stelle stand der Vortrag der Vorsitzenden der Gesellschaft für Volkskunde von Rio Grande do Sul, Frau Prof. Dr. Marie Rose Agrifollio, die auch akademische Arbeiten orientierte, die sich mit Kulturkomplexen der Region befassen. Sie erläuterte ein großangelegtes kulturgeschichtliches Projekt der Erhebung von Institutionen und Namen der deutschen Einwanderungsgeschichte.

Ihr folgten als Referenten andere Mitglieder der Gesellschaft für Volkskunde von Rio Grande do Sul, u.a. Herr Antonio Frison und Frau Christina Rolim Wolffenbüttel. Zwei  Themenbereiche und Forschungsprojekte wurden hier dargestellt, nämlich die Entdeckung und Aufwertung von Musikinstrumenten als eine besondere Erscheinung aktueller Volkskunde und Alltagskultur in Rio Grande do Sul und die Frage der Permanenz und Wandlung des deutschen Brauchtums in den Siedlungsgebieten der Gegenwart.

Wichtige Fragen der aktuellen kulturwissenschaftlichen Forschung in Rio Grande do Sul unter der Sicht der Volkskunde und der Erforschung des Folklorisierungs-Prozesses sowie der Rolle Deutschstämmiger bei der kulturgeschichtlichen Formung der Gaúcho-Identität wurden mit Vorträgen der Vertreter der Gesellschaft für Volkskunde angesprochen und diskutiert.

Beim zweiten Teil der ersten Sitzung wurden Referate über die gegenwärtigen Kulturinitiativen deutsch-brasilianischer Kreise gehalten. Herr Dieter Kleine stellte als Vorsitzender der Kulturgesellschaft Gramado die Geschichte und die Zielsetzung der Institution sowie die gegenwärtige Arbeit dar. Anschließend stellten sich er und seine Vorgänger in der Leitung dieser Einrichtung den Fragen der Kongressteilnehmer. Eine besondere Aufmerksamkeit wurde der Musikabteilung dieser Gesellschaft geschenkt, die von Frau Liane Rübenich erläutert wurde. Diese Abteilung stellte sich als Aufgabe, die dort aufbewahrten Partituren zu sichten und zu katalogisieren. Es folgte die Erläuterung eines praktischen Projekts im Rahmen der musischen Erziehung von Kindern und jungen Menschen. Es ging dabei um die Förderung der Orchesterpraxis im Rahmen der musikalischen Früherziehung und Grundausbildung. Zum Schluss dieser Sitzung wurden die aktuellen Probleme des kulturidentifikatorischen Wandels bei Brasilianern mit deutscher Abstammung mit beeindruckender Deutlichkeit im Vortrag von Frau Luciana Press dargelegt, die nach Erfahrungen in einer Samba-Schule Fragen hinsichtlich der Musikerziehung in Brasilien aufwarf.

Eine besondere Hervorhebung gebührt den Projekten, die das Verhältnis zwischen Philosophie und Musik betreffen. Der Dirigent Ronel Alberti da Rosa erläuterte ausführlich Werdegang, Ziel und Fortentwicklung der Arbeiten zur Bekanntmachung von Musikkompositionen Nietzsches in Brasilien.

Für die zweite Sitzung, die im Kulturhaus Gramado stattfand, standen Beiträge europäischer Kongressteilnehmer auf dem Programm, die die brasilianischen Teilnehmer über Projekte und Initiativen informierten, die in den letzten Jahren in Europa durchgeführt wurden.

Mediale Fragen in transnationalen Zusammenhängen wurden im Rahmen des Kongresses am Beispiel der internationalen Arbeit des Westdeutschen Rundfunks besprochen. Anschließend wurde über Projekte berichtet, die darauf abzielen, Strömungen der Geschichte deutsch-brasilianischer Beziehungen aufzuarbeiten, die mit bedenklichen politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zusammenhängen. Diese Relektüre von Werken der Geschichtsschreibung erscheint für eine Neuorientierung der Kulturforschung von grundlegender Bedeutung.

Es wurden einige der Ergebnisse der internationalen Kolloquien der Jahre 2000 und 2001 vorgestellt. Thematisiert wurde dabei besonders das Problem des neu zu reflektierenden Verhältnisses zwischen Nationalismus und Universalismus in der Kultur. Diese Gegenüberstellung, die bisher die Diskussion vor allem im Bereich der Literatur-, Musik- und Kunstästhetik beherrschte, erscheint angesichts der aktuellen Fragestellungen hinsichtlich Wandel von Kulturidentitäten nicht mehr zeitgemäß.

Von den Forschern aus Rio Grande do Sul selbst wurden zwei aktuelle Projekte besonders hervorgehoben. Die Organistin Anne Schneider stellte ihre Arbeit der Erhebung der Orgeln von Rio Grande do Sul dar, die nicht nur musikhistorisch orientiert ist, sondern auch konkret die Bereicherung des Musiklebens und die Weckung des Bewusstseins für die Erhaltung der Musikinstrumente zum Ziel hat. Im Namen der Universität FEEVALE erläuterte die Pressereferentin dieser Einrichtung deren neuartige Erziehungskonzeption, in der die Musik eine besondere Rolle spielt.

Die Konzeptionen regionaler Institutionen über Sinn und Methode theoriegeleiteter Arbeit wurden von Frau Prof. Laura Schmidt Silva dargestellt. Sie legte die von den praktischen Bedingungen und Kontingenzen geforderte Entwicklung des Denkens dar, die dazu führte, dass die musikalische Perzeption in erster Linie als Selbst-Wahrnehmung bei der Teilnahme an Gruppendarstellungen aufgefasst wird.

Der zweite Arbeitstag fand in der Stadt São Leopoldo statt. Er begann mit einer Begegnung im Studienzentrum des früheren Colégio Cristo Rei mit der Besichtigung der dortigen Bambus-Orgel. Dabei wurden die Geschichte der Anwendung von landseigenen Materialien im Instrumentenbau, die Geschichte der Bambus-Orgel in der Mission des Westens und des Ostens sowie die Bedeutung des Instruments von São Leopoldo im übernationalen Kontext dargestellt.

Anschließend wurden die Kongressteilnehmer im Musiksaal des Musikinstituts der Hochschule für Theologie der Evangelischen Universität lutherischen Bekenntnisses (IECLB) von ihrem Rektor und von Direktor André Daniel Lichter empfangen. Dabei wurden die Geschichte und die Arbeitsweise der Institution erläutert. Es folgte eine Sitzung über ökumenische Hymnologie. Dabei sprach als Vertreter der Musikkommission der Brasilianischen Bischofskonferenz Schw. Neuza Bressiane. Von evangelischer Seite referierten u.a. Herr Marcos Klabunde über das Choralbuch und die Pflege traditioneller Hymnen im Rahmen der Arbeit des IECLB. In einem Referat von Cleonir Zimmermann wurde die Konzeption verteidigt, nach der nicht von theologischen Grundlagen der Musik gesprochen, sondern Theologie als Teil einer "Symphonik" verschiedener Formen des Wissens aufgefasst werden sollte. Die Sitzung wurde mit einem Vortrag von Dr. Alfons Weller beendet, der einen ausführlichen Bericht über Geschichte, Stand und Entwicklung der hymnologischen Forschung in Europa darbot.

Forum RS der A.B.E. Nova Petropolis
Am Nachmittag und am Abend des 17. Septembers fanden die Arbeiten in der Stadt Nova Petrópolis statt, deren Organisation vor allem Frau Yedda Michaelsen übernommen hatte. Die Kongressteilnehmer wurden unter Führung des Repräsentanten des Kulturamtes der Stadt durch den Einwanderer-Park geleitet. Sinn, Geschichte und Bedeutung dieses Freilichtmuseums für die Kultur der Region wurden eingehend dargestellt und besprochen. Die einzelnen Gebäude, die wichtige Momente der deutschen Einwanderung markieren, wurden besichtigt. In dem wiedererrichteten, mit historischen Requisiten ausgestatteten Tanzraum wurde ein Vortrag gehalten, in dem die Geschichte der Siedlung und ihre Entwicklung unter den verschiedenen politischen Umständen des 20. Jahrhunderts dargestellt wurden. Anschließend fand eine Führung durch das Museum für Volkskunde mit seiner reichhaltigen Sammlung von Gegenständen des Alltagslebens statt. Dabei wurden Ziele, Probleme, Berechtigung und veränderte Methoden der museologischen Projekte in Immigrationszusammenhängen diskutiert.
Im Haus der Freundschaft von Nova Petrópolis wurden die Teilnehmer vom Bürgermeister der Stadt sowie vom Kulturamtsleiter und von Vertretern verschiedener Volksgruppen begrüßt, die die Bedeutung des Kongresses für die Entwicklung der internationalen Beziehungen in Kultur und Wissenschaft hervorhoben.

Durch die neuen Fragestellungen und Methoden ist eine Erneuerung der Zusammenarbeit über Grenzen zu erwarten. Der Vorsitzende der Akademie Brasil-Europa hielt einen Vortrag, in dem er die Geschichte euro-brasilianischer Beziehungen in Kultur und Wissenschaft skizzierte und daraus die Notwendigkeit einer epistemologischen Reflexion und konzeptionellen Aktualisierung vor allem für Kulturkomplexe ableitete, die von Mitteleuropäern in früher von den iberischen Ländern kolonisierten Regionen bestimmt werden.

Darbietungen von Chören, Theaterdarstellungen und Aufführungen von mitteleuropäischen Volkstänzen mit Vorführung von Trachten verschiedener Volksgruppen umrahmten den festlichen Empfang. Hervorzuheben sind die Vorstellungen des Männergesangvereins von Linha Olinda 1891, der "Jungen Immigranten aus Böhmen", des "Frohsinn" von Pirajá sowie die Darstellungen eines Kolonialfestes in Linha Araripe und der Einwanderung der Familie von Adolph und Jacob Michaelsen.

Am dritten Arbeitstag fanden die Sitzungen erneut im Kulturzentrum der Stadt Gramado statt. Im Mittelpunkt des Interesses stand das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis der Kulturformung unter besonderer Beachtung von didaktischen Projekten. Es wurde das Projekt "Engelsweihnachten" erläutert, das angesichts der außerordentlichen Bedeutung des Weihnachtsfestes in den Kulturen der Städte deutscher Immigration als eine musikpädagogische Arbeit in den Schulen der Stadt Dois Irmãos entwickelt worden war und von der Öffentlichkeit mit Begeisterung angenommen wurde. Im Sinne dieser Arbeit folgten Referate von Hilária Kreuz, Karen Volkmann, Daniele Bazann Lacerda, Rodrigo Schramm und Edson Ponick.

Am Ende dieses Arbeitstages wurde ein Ausflug zum Naturpark Caracol im Ferradura-Tal und zur Stadt Canela unternommen. In dem zum Museum hergerichteten Kolonistenhaus bei Caracol wurden bei einem "Kolonial-Kaffee" die Eindrücke der letzten Sitzungen besprochen. Anschließend fand der festliche Schlussakt des Forums im Kulturhaus von Gramado statt. Ein Konzert für Gitarre und Deklamation zeigte aktuelle Tendenzen künstlerischer Auseinandersetzungen mit der Gaúcho-Tradition in ihrer Vielfalt. Der Chor der FEEVALE trug unter der Leitung von André Daniel Lichter Werke brasilianischer Komponisten vor. Anschließend wurde eine musikalische Verbrüderungsaktion realisiert, die von Liane Rübenich geleitet wurde.





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