Rural/Tribal-"Caipiras" und indigene Identität. Tagungen der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Berichte
Auswahl aus Tagungen, Kolloquien und Sitzungen


Forum São Paulo "Interior": Rural/Tribal - Kulturbewusstsein der "Caipiras" und indigene Identität (2002)

Tagung der A.B.E. im Rathaus von Joanopolis SP
Die Probleme der Erforschung der "Cultura Caipira" waren bereits in mehreren vorangegangenen Tagungen der A.B.E. thematisiert und unter verschiedenen Aspekten behandelt worden. Fragen der komplexen Begriffsbestimmung und der Unterscheidungen entsprechender Kulturformen und -identitäten (Cultura caipira, Cultura sertaneja, Cultura rural u.a.) waren bereits diskutiert worden. Das Forum sollte vor allem die Arbeiten des internationalen Symposiums fortsetzen, das 1998 zu kulturanthropologischen Fragen symbolischer Darstellungsweisen der Volkskultur Brasiliens und indigener Traditionen in São Paulo veranstaltet worden war.

Bei dem Forum 2002 ging es vornehmlich darum, auf der Grundlage vorausgegangener Diskussionen zu Beginn des 21. Jahrhunderts Interaktionen der in den ruralen Regionen noch heute besonders sinnfälligen symbolischen Organisationsprinzipien in Darstellungsweisen der Kultur, die der Identifikation von Gruppen dienen, mit solchen tribaler Gesellschaften zu analysieren. Aus diesem Grund wurden die Tage von zwei großen Fragenkomplexen beherrscht.

Als Austragungsort wurde eine Region ausgewählt, in der seit Jahren Bemühungen zur Aufwertung einer als provinziell deklassierten Kultur unternommen werden.

Tagung der A.B.E. im Rathaus von Joanopolis SP
Die Tagung stand unter der Schirmherrschaft der Stadt und des Rates von Joanópolis an der Grenze zwischen den Bundesstaaten São Paulo und Minas Gerais. Andere Städte der Region wurden in die Arbeiten integriert. Eine Sitzung wurde in der Stadt Bragança Paulista durchgeführt. Hier wurde dazu ein Kulturfestival von der Stiftung für Hochschulstudien von Bragança Paulista veranstaltet.

In den Vorträgen wurde zunächst die Bedeutung von Fragen der Ethik bei der Behandlung des thematisierten Problemfeldes hervorgehoben. Im Hinblick auf die Bezeichnung der Aktion 2002 wurde auf die Analogie von Guarani-Vorstellungen über eine Sintflut mit der entsprechenden biblischen Überlieferung hingewiesen. Die Bildersprache einer Zerstörung von Menschen und der Erde durch die Sintflut in verschiedenen Kontexten wurde erläutert und ihre sozial-ethische, kulturwissenschaftliche und ökologische Dimension hervorgehoben.

Nachdem die anwesenden Vertreter der Stämme Krahô und Xerente begrüßt worden waren, wurde das Wort Herrn R. Bäcker erteilt, der erneut das beim Kolloquium 2000 in Köln gehaltene Referat über die Cultura Sertaneja und Perspektiven der Moda de Viola vortrug. Es folgte ein Empfang mit anschließenden Vorträgen renommierter Viola-Spieler der Region. Die Musikvorträge wurden mit Kommentaren von Herrn Walter Cassalho, einem Experten regionaler Kulturforschung mit Caipira-Identität, begleitet. Die Sitzung wurde mit der Vorführung von traditionellen Catira-Tänzen mehrerer Gruppen der Region abgeschlossen. Dabei wurde die Frage nach der Wiederbelebung dieser Darstellungsweisen der Caipira-Kultur besprochen.

Die Themen der folgenden Sitzungen, die im Rathaus der Stadt Joanópolis abgehalten wurden, bezogen sich auf Fragen sowohl der ruralen als auch der indigenen Musikkultur. Deutsche Teilnehmer des Kongresses gaben einen Überblick über die beim Kolloquium der A.B.E. in Köln zum Thema "Europa und das Klanguniversum der Indianer" behandelten Fragen. Es wurden Probleme der fremden Wahrnehmung indigener Musikkulturen in Reiseberichten am Beispiel der Makuxi und der Krahô aufgezeigt. Nach einem Grußwort des Vertreters des Krahô-Stammes kommentierte dieser die über seine Kultur dargestellten Arbeiten von E. Wusstmann sowie vorgeführten Aufnahmen von H. Schultz.

Pe. Valber Dias, der seit Jahrzehnten bei den Krahô lebt und eine indigene Kulturidentität angenommen hat, übersetzte die auf Krahô vorgetragenen Kommentare und verwies auf begriffliche Probleme hinsichtlich der sogenannten Timbiras in der kulturanthropologischen Literatur. Nach der Ankunft von Kindern und Jugendlichen der Schulen der Region wurden diese von Frau Prof. Dr. Dr. Julieta de Andrade begrüßt und in den Dialog mit den Indianer-Vertretern einbezogen. Zum Schluss der Sitzung sprach der Musikwissenschaftler Dr. Marcelo Hazzan über die Probleme kirchenmusikalischer Konzeptionen im Sinne der Festigung der Beziehungen zu Rom zur Zeit des Historismus. Bei der Diskussion wurden die gravierenden kulturwissenschaftlichen Probleme hervorgehoben, die diese restaurativen Bestrebungen des Katholizismus Europas, die heute eine Regenerierung in fundamentalistischen Positionen erfahren, verursacht haben.

Sitzung der A.B.E. zur Viola
Mehrere Sitzungen wurden vor allem Fragen volkskundlicher Forschung gewidmet. Frau Prof. Dr. Martha Haug erläuterte Konzeptionen und rituelle Handlungen einer Kommunion von Menschen und Heiligen in von der Globalisierung erfassten Grenzregionen von Mato Grosso. Frau Zuleika de Paula behandelte anschließend die traditionellen Formen der Interaktionen von Lebenden und Toten bei Praktiken der Commendatio animae in ruralen Regionen.
Die Verantwortlichen für die Kulturarbeit in der Stadt und in der Region führten Video-Aufnahmen vor mit Projekten des Kulturamtes des Staates São Paulo zur Aufwertung von traditionellen Gruppen und Darstellungsweisen der Kultur bei öffentlichen Massenpräsentationen in der Hauptstadt. Dabei wurden auch die in der Region selbst unternommenen Bemühungen zur Wiederbelebung von traditionellen Tanz- und Theatergruppen erwähnt. Es folgte eine Diskussion über Sinn und Risiken solcher Projekte, die eine traditionalistische Konzeption erkennen lassen und zu einer verflachenden Folklorisierung von
Sitzung der A.B.E. zur Viola
Repräsentationsformen führen könnten.

Der Bürgermeister der Stadt wies in einer offiziellen Festsitzung des Rates der Stadt Joanópolis auf die Bedeutung der ruralen Musik- und Kulturidentität in einem globalen Gebäude des Wissens hin. Der Vorsitzende der Musikkommission der Bischofskonferenz Brasiliens, Osmar Bezzutti, zeichnete ein Panorama der inkulturativen Konzeptionen und Bemühungen in Theologie und Liturgie um eine kulturell angemessene Vorgehensweise in der religiösen Praxis. Der Vorsitzende der Akademie Brasil-Europa behandelte die historischen Mechanismen des kulturidentifikatorischen Wandels am Beispiel der Doppelkodierung der Maraca und der Viola als symbolische Instrumente der indigenen und der ruralen Kulturen.

Es folgten Vorträge, die grundsätzlichen Fragenkomplexen der ruralen Volkskultur und der indigenen Welt gewidmet waren. Frau Prof. Dr. Dr. Julieta de Andrade behandelte Fragen der Geschichte und der Gegenwart der Trovadores sowie der Symbolik des Cururu-Tanzes am Beispiel der Region des mittleren Tietê. Herr Valber Dias erläuterte die duale Organisation des Raumes bei den Krahô-Gesellschaften und ihre Konsequenzen für eine Weltsicht, die vom Bestreben nach Harmonie der Gegensätze und des Friedens gekennzeichnet ist. Den Vorträgen folgten Musikvorführungen der anwesenden Krahô- und Xerente-Indianer. Schließlich traten Viola-Duos auf, die kulturgeschichtlich relevante Beispiele der Viola-Tradition sowie neue Kompositionen vortrugen.

Die abschließenden Sitzungen im Rathaus der Stadt Joanópolis beinhalteten die Darstellung eines vergleichenden Projekts über den Tanz der Carimbó im Staat Pará. Thematisiert wurden von Prof. Luiz Fernando de Andrade die transregionalen Grundstrukturen dieses Tanzes sowie seine Ausdifferenzierung in der Amazonas-Region, die offenbar auf den Einfluss von Umweltfaktoren zurückzuführen ist. Im Bereich der indigenen Kulturforschung wurde die während des Kolloquiums in Europa behandelte Frage nach Dokumentarfilmen als historische Quelle für Wissenschaft und Rekonstruktion indigener Geschichte und Identität den brasilianischen Interessenten erläutert. Dabei wurden historische ethnographische Filme aus verschiedenen Epochen der Filmgeschichte vorgeführt und kommentiert.





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