Mauritius/Brasilien: Der indische Raum in Studien von Kulturprozessen. Studienzyklus der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Themen
Auswahl von Fragenkomplexen, die in rezenten Studienprojekten der A.B.E. behandelt wurden

Mauritius/Brasilien. Stella Clavisque Maris Indici: Der indische Raum in Studien von Kulturprozessen
(2009)

Bei der internationalen Tagung zu Interkulturellen Studien, die in São Paulo und Rio de Janeiro 2004 im Rahmen der 450-Jahr-Feier von São Paulo von der A.B.E. veranstaltet wurde, hob eine aus Mauritius stammende Teinehmerin hervor, ihr Land werde bei Betrachtungen globaler Entwicklungen unzureichend berücksichtigt.

Die alte Ile de France spielte in der Kolonialgeschichte eine wichtige Rolle, war Brücke zwischen Asien, Afrika und Europa, war schon früh von dem Zusammenleben und den Interaktionen verschiedener Kulturen geprägt, gehörte kulturgeschichtlich sowohl französischer als auch britischer Einflußsphäre an, die das Kulturleben ihrer Hauptstadt prägten, und besitzt ein vielfältiges Repertoire an Tänzen und Musikstilen, die zu eingehenderen Kulturstudien einladen.

Bei den folgenden Überlegungen traten Parallelen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Kulturgeschichte von Mauritius und Brasilien ins Bewusstsein. Eine nähere Beschäftigung mit den Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern erfolgte im Rahmen des Studienprogramms der A.B.E., das Zusammenhänge, Beziehungen und Interaktionen zwischen interamerikanischen und atlantischen Kulturprozessen zum Ziel hat und das eine Erweiterung durch die verstärkte Berücksichtigung des pazifischen Raumes erfuhr.

Ausgangspunkt der Arbeiten bildete eine Auseinandersetzung mit den rezenten Publikationen über den Raum des Indischen Ozeans in Portugal. Eine Diskussion der Ansätze zu einer Theorie des "Indico" zeigte die Möglichkeit einer Ausdifferenzierung von Positionen aus der Perspektive der euro-brasilianischen Studien. Auf der Grundlage der in Mauritius gemachten Beobachtungen und gewonnenen Erfahrungen wurden Studien zu ausgewählten Fragenkomplexen durchgeführt.

Zu Beginn wurde die Bedeutung der kolonialen Ile de France für Untersuchungen hervorgehoben, die botanische Transplantationen als signifikante Teile der Kulturforschung anerkennen und sich so mit einer Kulturgeschichte der Botanik auseinandersetzen. Der Botanische Garten von Pamplemouses wurde zu einer wichtigten Station bei der Übertragung von Pflanzen zwischen dem Osten und dem Westen.

Die engen Beziehungen zwischen dem Botanischen Garten von Pamplemouses und dem von Rio de Janeiro verdienen dementsprechend nähere Aufmerksamkeit. Über den Weg von Mauritius gelangten Pflanzen des ostindischen Raumes wie Nelken und Muskatnuss nach Brasilien. Auf dem Umweg über Französisch-Guyana - erklärlich nur durch die kolonialen Beziehungen - kam die Königs- bzw. Kaiserpalme nach Brasilien, die das Bild des Landes nachhaltig prägte. Auf die spätere Zeit der britischen Herrschaft ging die Transplantation der amazonischen Victoria Regia von dem englischen Guyana nach Mauritius zurück.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand die Rolle Mauritius und Brasiliens hinsichtlich des Menschenbildes in der Ideen- und Kulturgeschiche. Das Verhältnis zwischen Kultur und Natur prägte das auf Mauritius bezogene Menschenbild, wie es im Werk Paul et Virginie von B. de Saint-Pierre (1737-1814) zum Ausdruck kommt. Die weite Verbreitung dieses Werkes und die von ihm ausgegangenen Einflüsse auf verschiedene Länder erforderten eingehende Rezeptions- und Wirkungsstudien. In diesem Zusammenhang konnte festgestellt werden, dass das Werk von B. de Saint-Pierre bedeutende Anregungen für Inocência (1872) des Visconde de Taunay (1843-1899) geliefert hat.

Eine besondere Aufmerksamkeit wurde den Musik- und Tanztraditionen von Mauritius gewidmet, deren Deutungen auf der Grundlage von Erkenntnissen, die sich aus der kulturwissenschaftlich orientierten Musikforschung Brasiliens ergeben, Präzisierungen erfordern.

Durch Mauritius nahm Europa Kenntnis von den entstandenen multikulturellen Situationen in Kolonialregionen, wie das Werk von J.-G. Milbert (1766-1840) bezeugt. Bemerkenswert war die Bedeutung von einigen herausragenden Mauritiern im Kulturleben europäischer Städten - vor allem Paris - des 19. Jahrhunderts.

Die Berücksichtigung der kolonialen Elite von Mauritius und der Rolle, die die Kreolen in Europa gespielt haben, eröffnet neue Perspektiven für Studien der Präsenz von Brasilianern - und Lateinamerikanern im allgemeinen - in Paris. Ein herausragender Mauritier war Prosper d'Épinay (1836-1914), der wegen seiner Leistungen vom brasilianischen Kaiserreich mit dem Ordem da Rosa ausgezeichnet wurde. In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage nach den Beziehungen zwischen Identitätsvorgängen von Ausländern in der französischen Hauptstadt und bestimmten Stilrichtungen oder Kulturtendenzen, insbesonders bei den Parnasianern.

Ein besonderer Unterschied zwischen den beiden Ländern, der bei den Kulturstudien zu beachten ist, liegt in der früher erfolgten Emanzipation der Sklaven auf Mauritius. Die damit verbundene Anwerbung von Arbeitskräften bedingte anders gearteten Immigrationsprozesse. Während nach Brasilien vorwiegend Europäer einwanderten, kamen nach Mauritius Kräfte aus der britischen Einflusssphäre, vor allem Inder, deren Schicksal die Gedächtniskultur von Mauritius in der Gegenwart prägt. Durch die wachsende Bedeutung der indischen Bevölkerung auf Mauritius setzten auch Entwicklungen ein, die das Kultur- und Religionsleben der Insel dermaßen beeinflussten, dass die paradox erscheinende Frage nach einer Hinduisierung des Indischen aufgeworfen wird.


Veröffentlichte Texte

Submersionen und Emersionen: "Theorie des Indischen" in euro-brasilianischer Perspektive

Kultur und Natur im Menschenbild: Paul et Virginie von B. de Saint-Pierre (1737-1814) und Inocência (1872) von Visconde de Taunay (1843-1899)

Kulturbotanische Geschichte in den Beziehungen zwischen dem Indischen (Indico) und Brasilien. Pamplemouses I
Vom Orient nach Brasilien über die Ile de France: Nelken, Muskatnus
Von Französisch-Guyana zur Ile de France und nach Brasilien: Königs- bzw. Kaiserpalme

Kenntnisse multikultureller Situationen in Kolonialregionen zu Beginn des 19. Jhs in Europa: Ile de France von J.-G.Milbert (1766-1840)

Präsenz und Wandel von Ausdrucksformen, die sich auf die Kolonialvergangenheit beziehen: Séga

Das Indische (Indico) in der britischen Geschichte der Naturbeobachtung: Charles Darwin auf Mauritius

Engländer im Kulturleben von Brasilien und Mauritius im 19. Jahrhundert

Englische Verwaltung und Entwicklung von Kommunikationswegen. Brasilien und Mauritius in der Philatelie

Kulturbotanische Geschichte in den Beziehungen zwischen dem Indischen (Indico) und Brasilien. Pamplemouses II
Vom englischen Guyana nach Europa und Mauritius: Victoria regina
Englisches Kunsthandwerk in den Botanischen Gärten des Indischen (Indico) und des Pazifik

Sklavenemanzipation in der britischen Sphäre und sozialorientierte Pastoralmethoden. Jacques-Désiré Laval (1803-1864)

Identitätsfragen: Frankophilien und Frankotropismen. Parnasianer im Indischen Raum, in Frankreich und in Brasilien

Koloniale Elite und Kreolen in der europäischen Kultur. Prosper d'Épinay (1836-1914), Träger des Ordem da Rosa

Musik auf Mauritius und Musiker aus Mauritius in Paris. Rezeption in Brasilien

Gedächtniskultur und Wandel von Identitäten und Bildern: Indentured immigrants in der Zeit nach der Sklaverei

"Hinduisierung" des Indischen? Demographischer Wandel und dessen Konsequenzen für interkulturelle Studien





Sitemap


Die Akademie

Zielsetzung und Geschichte   -   Organisation   -   Studienzentrum   -   Archive

Aktivitäten

Forschungsprogramme   -    Themen   -   Berichte   -   Chroniken

Online-Zeitschrift

Revista Brasil-Europa

Institutionelle Bindungen

Brasil-Europa   -   I.S.M.P.S. e.V.

Allgemeines

Kontakt   -   Impressum