Interaktionen transatlantischer, interamerikanischer und pazifischer Prozesse in der Kulturforschung. Studienzyklus der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Studienzyklen
Auswahl von Fragenkomplexen, die in rezenten Studienprojekten der A.B.E. behandelt wurden

Interaktionen transatlantischer, interamerikanischer und pazifischer Prozesse in der Kulturforschung
(2009)
Im Anschluss an die Gründung der Organisation für Studien von Kulturprozessen in São Paulo 1968 wurde von dem portugiesischen Komponisten Jorge Peixinho die Notwendigkeit einer Erneuerung der transatlantischen Studien hervorgehoben. Die Berücksichtigung transatlantischer Prozesse war zu sehr von Auffassungen der autoritären nationalen Politik Portugals geprägt, die gern von einem atlantischen Kulturraum sprach, der als eine neue Erscheinungsform politischer Gebilde der Kolonialzeit verstanden werden könnte.

Das Problem der Perspektivierung der transatlantischen Studien nach der Sichtweise der alten Metropolen und ehemaligen Kolonien ist allerdings nicht auf Portugal und Brasilien beschränkt. Für Frankreich stellen sich beispielsweise die überseeischen und transozeanischen Studien anders dar. In Deutschland verstehen sich die transatlantischen Studien praktisch ausschließlich in Bezug auf das Verhältnis zur USA, was vor allem aus der Situation nach dem II. Weltkrieg zu erklären ist. Obwohl Brasilien einen bedeutenden Bevölkerungsanteil deutscher Herkunft aufweist, wird es im allgemeinen nicht in den so konzepierten Transatlantismus einbegriffen.

So erscheinen die transatlantische Beziehungen durch die unterschiedlichen Kontextualisierungen zersplittert, sodass eher von einer Pluralität von Sichtweisen, Initiativen und Entwicklungen in bestimmten Ländern als von einem kohärent strukturierten Studienfeld gesprochen werden kann. Die Entwicklung der Studien von Kulturprozessen in internationalen Beziehungen verlangt jedoch nach einer übergeordneten Warte und geeigneten Kriterien, die die bi-lateralen Bedingtheiten überwinden.

Diese transatlantische Thematik wurde in ihren Beziehungen zum Interamerikanismus 1983 bei einer internationalen Tagung diskutiert, die mit Unterstützung der amerikanischen Botschaft in Bonn und des Interamerikanischen Instituts für Musikwissenschaft mit Sitz in Montevideo in Nordrhein-Westfalen veranstaltet wurde. Auch hinsichtlich des Interamerikanismus waren seit langem Bemühungen um seine theoretische Erneuerung im Gang. Dafür fand 1972 in Montevideo eine Sitzung der Organisation für Studien von Kulturprozessen statt, die ein Überdenken von Sichtweisen anregte, die aus Kontexten der 30er Jahren stammten. Der Weg dazu schien eine stärkere Orientierung auf Prozesshaftes zu sein. In der Tagung von 1983 ging es um die Beziehungen und Interferenzen von transatlantischen und interamerikanischen Prozessen, die aus der Kolonisierung und Missionierung entstanden sind und unterschiedliche Ausprägungen im Verlaufe der Jahrhunderte erfuhren.

1987 wurde bei einem Regionaltreffen für Lateinamerika des Internationalen Musikrates/UNESCO in São Paulo dieses Anliegen einer zusammenhängenden Betrachtung transatlantischer und interamerikanischer Kulturprozesse unter Teilnahme von Vertretern verschiedener Nationen des Kontinents besprochen. Dabei wurde von Prof. Dr. Samuel Claro-Valdés aus Chile ins Bewusstsein gebracht, dass mehrere amerikanische Länder nicht zum Atlantik, sondern zum Pazifik ausgerichtet sind, andere zwischen beiden Ozeanen liegen, sodass eine angemessene Kulturbetrachtung interamerikanischer Entwicklungen den pazifischen Raum miteinbeziehen muss. Dafür wäre es notwendig, Konferenzen in den betreffenden Ländern des Kontinents abzuhalten, um an Ort und Stelle die verschiedenen Positionen und Tendenzen des Denkens kennenzulernen und in gemeinsamer Zusammenarbeit Wege zur Entwicklung des angestrebten Forschung zu bereiten.

Gemäß dieser Anregung wurden in den folgenden Jahren Arbeiten in verschiedenen Ländern durchgeführt, so u.a. in den USA und Puerto Rico sowie mehrfach in Kuba, in Chile, Mexiko, S. Domingo und Haiti. Durch die Entwicklung der kulturwissenschaftlichen Diskussion nach dem Triennium wissenschaftlicher Arbeiten zum Anlass der Entdeckung Brasiliens vor 500 Jahren schien es angebracht, erneut Institutionen verschiedener Länder des Kontinents aufzusuchen und regionale Entwicklungen und Tendenzen zu beobachten.

Beim Kongress des Jahres 2002 wurde die Aufmerksamkeit stärker auf die Auseinandersetzung mit rezenten postkolonialen Ansätzen bei der Erforschung des Kolonialismus und der Immigration sowie mit dem Verhältnis zwischen Gedächtnis und Geschichtsbewusstsein in Hinblick auf die Zukunft gerichtet. Diese Auseinandersetzung musste, um dem interamerikanischen Anliegen gerecht zu werden, ebenfalls amerikanisch-pazifische Kontexte einbeziehen.

Drei Länder, die bereits in Seminaren und Projekten besonders berücksichtigt worden waren, wurden Ziel von Studien. Da bei der Betrachtung der thematisierten kolonialen und kolonisatorischen Prozesse Fragen der Wirtschaft und des Handels im Vordergrund stehen, konzentrierten sich die Studien auf Länder, bei denen die Wirtschafts- und Handelsgeschichte Parallelen zu Brasilien aufwies. Auch wenn diese Länder in keiner unmittelbaren historisch-geographischen Beziehung zu Brasilien stehen, konnten sie auf dem Umweg ihrer Beziehungen zu Europa zur Analyse von Prozesshaftem beitragen, was Affinitäten über Grenzen und Begrenzungen hinaus erklärt. Bei der Durchführung dieses Anliegens kommt Costa Rica in Mittelamerika, Kolumbien in Südamerika und - wegen seiner Rolle als Verbindung zwischen dem pazifischen und dem atlantischen Raum, zwischen Nord und Süd - Panama eine besondere Bedeutung zu.

Kulturstudien, die Costa Rica und Brasilien in Beziehung setzen und eine Kooperation begründen können, lassen sich in besonders deutlicher Form aus einer wirtschaftsgeschichtlichen Perspektive angehen. Das Bild beider Länder ist in Europa nachhaltig von dem Handelsprodukt, das ihre Ökonomie besonders prägt, nämlich dem Kaffee, bestimmt. Die Berücksichtigung des wirtschaftlichen Aufschwungs der Kaffeeplantagen im 19. Jahrhundert ist für die Kulturgeschichte beider Länder von maßgeblicher Bedeutung. Wirtschaftsgeschichtliche Studien müssen bei der Untersuchung von Immigrations- und Kolonisationsstudien beachtet werden. In Städten beider Länder ließ der durch den Kaffee erwirtschaftete Wohlstand repräsentative öffentliche und private Gebäude entstehen und ermöglichte es, dass Brasilianer und Costa-Ricaner Studien in Europa durchführten; Kunstwerke, Orgeln, Klaviere und Bücher konnten importiert, Orchester und Solisten für Konzerte eingeladen werden. Die in beiden Ländern entstandene Fachliteratur über die Blütezeit der Kaffeeplantagen und deren Auswirkungen auf das Kulturleben muss aus einer übergeordneten Warte heraus beachtet werden.

Ein anderes Produkt, das mit beiden Ländern in fast emblematischer Form in Verbindung gebracht wird, ist die Banane. Besonders Costa Rica erfuhr in den letzten Jahrzehnten eine internationale Beachtung wegen der sozialen Probleme, die sich mit dem ökonomischen System der Pflanzungen und des Handels verbinden. In einer Gegenüberstellung zu Brasilien sind jedoch bemerkenswerte Unterschiede feststellbar, die einer Klärung kultureller Art bedürfen. Während in Brasilien diese Frucht eher humorvolle, groteske Assoziationen erweckt, erscheint sie in Costa Rica gar als Motiv von Kunstwerken und als Allegorie, die auf alte Sinngebungen hindeutet.

In Kolumbien bietet sich die Stadt Cartagena für die Durchführung der Studien an, da hier in exemplarischer Weise ein anderes Problem in den Vordergrund tritt: die Sklaverei. Cartagena erscheint für das Anliegen der dringend notwendigen theoretischen Erneuerung der afro-amerikanischen Studien von besonderer Bedeutung. Es lenkt mit seinen Museen und Institutionen die Aufmerksamkeit auf intrinsische Mechanismen der Kulturtransformation durch missionarische Tätigkeit in Afrika und auf dem amerikanischen Kontinent, deren richtiges Verständnis Vorbedingung zur Korrektur falscher Annahmen und Hypothesen der Fachliteratur ist.

Die Untersuchung des Kulturwandels bei erzwungener und spontan erfolgter Annahme christlicher Identität, die vornehmlich durch Studien der Zeichensprache durchzuführen ist, setzt die Auseinandersetzung mit Fragen der adäquaten Hermeneutik und der Methoden der Missionspraktiken der Vergangenheit voraus. Hierfür bietet Cartagena mit dem Museum der Inquisition und als Zentrum der Erforschung von Pedro Claver S.J. besondere Möglichkeiten für eine interamerikanisch ausgerichtete Forschung.

Panama wird seit Jahrzehnten - insbesonders seit dem Regionaltreffen des Internationalen Musikrates/UNESCO in São Paulo 1987 - in Forschungsarbeiten und Seminaren vor allem unter musikethnologischen Aspekten berücksichtigt. Die Arbeiten des Jahres 2009 sollten wegen ihrer programmatischen Zielsetzung ins Bewusstsein rufen, dass Panama vor allem aus geopolitischen und geokulturellen Gründen eine außerordentliche Rolle innerhalb von Kulturstudien zukommt, die den Gesamtkontinent betreffen und den atlantischen mit dem pazifischen Raum in Beziehung setzen. Diese Bedeutung kann nur im Rahmen einer transdiziplinären Kulturwissenschaft gewürdigt werden und durch Studien, die die Aufmerksamkeit auf Prozesshaftes richten.

Die Verbindung der verschiedenen Kultursphären des Nordens und des Südens, des Westens und des Ostens über Panama, intensiviert im 19. Jahrhundert durch den Bau der Eisenbahn und vor allem des Kanals, bewirkte Umorientierungen von Regionen des Kontinents und hatte erheblichen Einfluss auf Brasilien. Umänderung von Routen, die pazifische Länder Lateinamerikas mit Europa verbanden und nun nicht mehr über den Süden des Kontinents führten, brachten Veränderungen für die Kulturbeziehungen Brasiliens zu den anderen Staaten des Kontinentes mit sich. Die Auswirkungen in Amazonien waren ebenfalls erheblich.

Der Bau des Panama-Kanals stellt demnach nicht nur einen Gegenstand von Interesse der Geschichte der Technik, der Wirtschaft und der Politik dar, der globale Auswirkungen hatte und zu Krisen ökonomisch-politischer Art in Europa führte, sondern wirkte sich auch auf kulturelle Prozesse zwischen den amerikanischen Ländern auf beiden Seiten des Kontinents und Europa aus und berührt somit die Kulturwissenschaft.


Veröffentlichte Texte

Zyklus Costa Rica/Brasilien

Costa Rica/Europa/Brasilien. Perspektiven für kulturwissenschaftlich orientierte Studien

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Stellung und Bedeutung des Nationalteathers in Costa Rica in der Kulturgeschichte der Theaterarchitektur Lateinamerikas

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Oper, Zarzuela, Operette und Film in einer kulturwissenschaftlich geleiteten Geschichte der Popularmusik in interamerikanischen Kontexten: Das Populartheater Melico Salazar

Vor-Geschichte, Archäologie und Aktualität indigener Studien. Situation in Costa Rica und Brasilien


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Afro-Amerikanistik und kulturwissenschaftlich orientierte missiologische Forschung in atlantisch-pazifischen Kontexten: Pedro Claver S.J.

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Zyklus Panama/Brasilien

Panama/Europa/Brasilien. Perspektiven für Studien von Kulturprozessen in internationalen Beziehungen
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Institutionen

Nationalmuseum von Costa Rica





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